Buch der Woche
Heide Soltau
Für seinen ersten Roman erhielt der Schriftsteller Ulrich
Woelk 1990 den Aspekte Literaturpreis. "Freigang" - so der
Titel - erzählte von einem Physikstudenten, der behauptete,
seinen Vater umgebracht zu haben. Ein Irrtum, wie sich schnell
herausstellte. Der junge Mann litt an Wahnvorstellungen, ausgelöst
durch eine unglückliche Liebesgeschichte. Ulrich Woelk hat
seitdem etliche, viel beachtete Bücher geschrieben. Sein neuer
Roman heißt "Die Einsamkeit des Astronomen" und
überrascht mit einem alten Bekannten. Nach 15 Jahren stellt
Ulrich Woelk erstmals wieder Frank Zweig in den Mittelpunkt des
Geschehens, den Helden seines ersten Romans "Freigang"
Man muss Freigang nicht kennen, um den neuen Roman Ulrich Woelks
"Die Einsamkeit des Astronomen" mit Gewinn zu lesen. Aber
es bringt Spaß, die Fäden von damals wieder aufzunehmen
und zu erfahren, was aus Frank Zweig inzwischen geworden ist. Damals
hatte er gerade sein Studium beendet und steckte so tief in einer
Lebenskrise, dass er einige Monate in der Psychiatrie verbringen
musste. Jetzt ist er 43, lebt in Frankreich und arbeitet als
Astrophysiker an der Sternwarte in der Haute-Provence. Wir treffen
ihn im Flugzeug von Nizza nach Köln. Sein Vater ist vor einem
Jahr gestorben und Frank muss nun dessen Haushalt auflösen. Aber
nicht nur deshalb hat er sich beurlauben lassen.
Frank Zweig soll einen Bericht für das Forschungsressort der
EU schreiben und damit zur Aufklärung einer Katastrophe auf
einer Sternwarte beitragen. Dieser Bericht gerät dem
Naturwissenschaftler zu einer Art Zwischenbilanz seines Lebens.
Während er gemeinsam mit seiner Schwester den Haushalt seines
Vaters auflöst und dabei Fotografien und Erinnerungstücke
in die Hand nimmt, fallen ihm Szenen seiner Vergangenheit ein: der
Familienurlaub in Spanien, in dem er als kleiner Junge im Fahrstuhl
stecken blieb, ein Besuch bei seiner Schwester in Berlin, Gespräche
mit seinen alten Freund Simon und seine Liebesgeschichte mit der
Meteorologin Ellen.
Es passiert wenig Spektakuläres in Ulrich Woelks Roman. Das
meiste spielt sich im Inneren des Ich-Erzählers Frank Zweig ab,
eines erfolgreichen Wissenschaftlers, der nach dem Tod des Vaters
seine eigene Existenz neu überdenkt. Woelk greift damit das
Thema auf, das viele Menschen in der Mitte ihres Lebens umtreibt. Die
Eltern begraben, heißt, den letzten Schritt ins
Erwachsenendasein tun. Nüchtern und schmucklos und damit seinem
Helden gar nicht so unähnlich, erzählt Ulrich Woelk die
Geschichte eines Mannes, der schließlich optimistisch in die
Zukunft blickt. Irgendwo da draußen im Universum gibt es andere
Schicksale auf anderen Planeten. "Die Einsamkeit des Astronomen" ist
ein ungewöhnlich anregender, kluger Roman.